Dekorative Triathlon-Icons für die Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen

Udo van Stevendaal

Triathlet

Ein Icon für eine Medaille

10-facher Weltmeister und mehrfacher Deutscher- und Europameister

Mission completed. Titel verteidigt. Akku leer. Saison beendet. – Kurzdistanz EM in Istanbul, 31. August 2025

Am Sonntag, den 31. August, fand die Triathlon Europameisterschaft über die olympische Distanz in Istanbul, der größten Stadt Europas, statt. Noch nie war ich mir so unsicher, ob ich diese Reise überhaupt antreten sollte, aus den verschiedensten Gründen. Gut, dass die Temperaturen Ende August in der Türkei hoch sein würden, kann man vorher wissen. Auch die politische Unruhe im Land ist nicht erst seit gestern bekannt. Und dass Istanbul mit über 15 Millionen Einwohnern anstrengend sein würde, hätte man sich auch denken können. Doch politische Proteste können jederzeit spontan aufflammen. Und die Info, dass aufgrund „äußerer Gegebenheiten“ die Schwimmstrecke von 1500 m auf 2200 m verlängert wird, kam dann nach der Anmeldung auch ziemlich überraschend.

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Die Schwimmstrecke ist es dann auch, die im Vorfeld für den meisten Diskussionsstoff sorgt. Aber dazu später. Um ein wenig mehr Zeit für die Vorbereitung und Akklimatisierung vor Ort zu haben, lande ich bereits am Donnerstag. Der erste spannende Moment erwartet mich bereits am Flughafen in Istanbul. Zwar ist wider Erwarten dieses Mal mein gesamtes Gepäck mitgekommen. Ich bin aber gespannt, ob es mit meinem Transport zum Hotel klappt. Es war nicht so einfach, ein Taxi zu finden, welches mich samt Koffer und vor allem Radkoffer befördern kann. Schließlich hatte ich über WhatsApp Kontakt zu Kemal, der mir alles genau beschrieb, wo ich hinausgehen und warten soll. So warte ich nun in den Katakomben des Istanbuler Flughafens und bekomme ein Vorgeschmack auf die Hektik in dieser Stadt. Nach 10 Minuten kommt Kemal – mit einem Bulli! Super. Alles rein und los. Die Konversation auf Englisch über WhatsApp hat super funktioniert. Nun starte ich den Versuch eines Small Talk mit Kemal. Fehlanzeige. Er versteht nicht ein Wort. Willkommen im Zeitalter der Übersetzer-Apps! Im Nachhinein hätte ich Kemal lieber mit meinem Gepäck alleine zum Hotel fahren lassen, während ich das Rad hätte nehmen können. Denn bei zwei Stunden für 40 km wäre ich schneller gewesen! Hammer, was hier los ist. Auf vierspurigen Straßen stehen die Autos Stoßstange an Stoßstange. An einem ganz normalen Wochentag. Zur Mittagszeit. Endlich am Hotel angekommen, beziehe ich mein Zimmer im 36sten Stock. Die DTU hat keine eigene Delegation hier. Aber im Vorfeld haben sich ein paar Athleten aus Deutschland und der Schweiz ausgetauscht, um nicht unterzugehen in dieser Metropole. Christoph, mein Altersklassen-Mitstreiter aus der Schweiz, ist mit seiner Partnerin Maxi nur zwei Zimmer weiter. Wir werden eine schöne gemeinsame Zeit in Istanbul verbringen.

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Am Freitagmittag machen wir uns auf zur Wettkampfbesprechung im Team-Hotel der Österreicher. Diese haben wenigstens eine offizielle Delegation vor Ort. Wie „Organisation“ funktioniert, können wir von ihnen lernen. Die Abgesandten des Verbandes kümmern sich um ihre Athleten, sodass diese sich voll und ganz auf den Wettkampf konzentrieren können. Bei der Taxifahrt zu deren Hotel merken wir schnell, dass man in Istanbul besser nicht Rad fährt. Eigentlich hatten wir uns vorgenommen, dass wir den 10 km langen Weg zwischen Hotel und Eventgelände mit dem Rad zurücklegen könnten. Denkste! Eine Fortbewegung auf zwei Rädern grenzt an eine Nahtoderfahrung. Auch bei dem Briefing der Österreicher ist das Schwimmen im Bosporus Thema Nummer 1. Aufgrund der starken Strömung ist laut Veranstalter ein Rundkurs nicht möglich. Und da es nicht so viele Möglichkeiten gibt, in den Bosporus zu springen und vor allem auch wieder heraus zu kommen, muss die Schwimmstrecke eben 2200 m lang sein! („Fun Fact“ am Rande: Vom Bosporus-Schwimmen über 7 km eine Woche zuvor mit 3000 Teilnehmern wird noch eine Person vermisst!) All das löst nicht nur in mir Unbehagen aus. Auch, dass Empfehlungen herausgegeben werden für „sehr gute“, „mittlere“ und „schlechte“ Schwimmer, macht die Sache nicht besser. Die „schlechten Schwimmer“ mögen sich lieber am Rand halten, während die „sehr guten Schwimmer“ ruhig in der Flussmitte die starke Strömung ausnutzen können. Diese sollten nur zusehen, dass sie sich früh genug Richtung Ausstieg orientieren, da sie sonst am Ponton vorbeischwimmen. Ich freue mich! Den Rest des Freitags verbringen wir mit Registrierung, einer weiteren Taxifahrt mit Crash-Potenzial und der Suche nach etwas Essbarem.

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Die Nächte enden stets um 5:30 Uhr mit dem Ruf des Muezzins. Doch das ist gar nicht schlimm. So kann ich mich schon langsam an das frühe Aufstehen am Renntag gewöhnen. Bei einem entspannten Frühstück verfolgen wir am Live-Tracker die Ergebnisse dreier anderer Teilnehmer unserer kleinen privaten multinationalen Delegation. Michi und Olaf gewinnen Silber über die Sprintdistanz. Klasse gemacht. Wir entscheiden uns schließlich, das Risiko einer Nahtoderfahrung einzugehen und trauen uns mit dem Rad auf die Straßen Istanbuls. Es wird zwar viel gehupt. Aber das ist eher ein Hupen nach dem Motto: Vorsicht, ich komme. Kein aggressives Hupen. So kommen wir heil und ohne Panne an der Wechselzone an. Die Temperaturen von 30 °C geben uns schon einen Vorgeschmack auf das, was uns morgen erwarten wird, nämlich 35 °C! „Gut, dass der Start um 6:39 Uhr sein wird!“ Vor uns beim Rad Check In steht eine Britin der Altersklasse W 45. Das ist nicht schlimm! Aber ihr Hinterrad ist es! So etwas habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen, als ich von meinen Eltern stets einen Rüffel erhalten habe, wenn ich zigmal unter Betätigung meiner Rücktrittbremse über den Asphalt geglitten bin. Gummi war bei dem Reifen der Britin nicht mehr zu erkennen, sondern nur noch das Gewebe. „Wie kann man tausende Kilometer hierher fliegen, so viel Geld ausgeben und dann mit einem solchen Reifen an den Start gehen?!“ Abends gehen wir zu unserem „Stammrestaurant“ nach dem Motto: Nichts Neues mehr ausprobieren. Um 20 Uhr mache ich das Licht aus.

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Die Nacht war keine. Nach meiner Uhr hatte ich eine Tiefschlafphase von einer Stunde. „Das kann nicht sein! Ich habe doch jede Minute gezählt.“ Zigmal habe ich die Startphase und das Schwimmen visualisiert. Weiter bin ich gedanklich auf der Strecke gar nicht gekommen. Um 3 Uhr stehe ich auf, noch bevor der Wecker sich meldet. Nochmal gehe ich in Gedanken durch, ob ich alles habe, was ich brauche. Auf ein Warm Up vor dem Frühstück verzichte ich lieber, nachts um 3:30 Uhr in Istanbul. Zu 4:30 Uhr haben wir uns zu sechst zwei Taxis bestellt. Es ist immer spannend, ob die auch kommen. Klappt. Um kurz vor 5 Uhr stehen wir im Dunkeln in der Schlange vor der Wechselzone. Soweit sind wir schon mal gekommen. Dann erfolgen die Schritte, die Routine sein sollten: das Einrichten des Wechselplatzes. Klappt. Schnell die Klamotten abgeben und dann zum Sammelplatz, wo die Shuttle-Busse zum Schwimmstart abfahren. Um 6 Uhr stehen wir dicht gedrängt in unseren Neoprenanzügen in einem Bus. „Hoffentlich weiß die Istanbuler Polizei, dass heute Triathlon ist! Sonst könnte man auf komische Gedanken kommen.“ Die letzten Minuten vergehen nahezu so wie es zigmal visualisiert habe. Ich bin mit meiner Altersklasse M 55 zusammen mit der AK M 50 in der vierten Welle am Start. Alle drei Minuten wird eine Welle losgeschickt. Da der Triathlon mit einem Sprung von einem 2 m hohen Schiffsanleger beginnt, kann kein Massenstart erfolgen. Stattdessen werden stets drei Athleten alle drei Sekunden losgeschickt. Nach 10 m laufen kommt die große Frage: Kopf- oder Fußsprung?

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Da ich mich im Vorfeld für einen Kopfsprung entschieden habe, stelle ich mich in meiner Welle in die erste Reihe. Ich möchte sicherstellen, dass ich ungehindert einen Kopfsprung machen kann und nicht, dass die vor mir nach einem Fußsprung nicht von der Stelle kommen. Und dann geht es los. Der Kopfsprung gelingt. Und die Brille bleibt dran. Ich bin einer der Wenigen, die es wagen, in der Dämmerung in den dunklen Fluss mit dem Kopf zuerst einzutauchen. Alles richtig gemacht. Die fünf Sekunden habe ich schon mal gut. Bei den Wellen vor mir konnte ich bereits zwei Taktikten beobachten. Die einen orientieren sich sofort am Ufer und folgen dem natürlichen Verlauf. Die anderen schwimmen fast direkt auf die Flussmitte zu. Um die Strömung zu finden, nehmen sie einen längeren Weg in Kauf. Ich entscheide mich für die dritte Taktik: dazwischen. Wie sich herausstellen sollte, war das die zufällig richtige Entscheidung. Denn es gab kaum Strömung. Somit bin ich kaum Umweg geschwommen und konnte dennoch von der sehr schwachen Strömung profitieren. Plötzlich ein Schreckmoment! In ca. 2 m Tiefe erblicke ich im Augenwinkel einen schwarzen Neoprenanzug. Ich zwinge mich, genauer hinzuschauen, falls jemand in Schwierigkeiten ist. Ich bin erleichtert. Es ist nur eine 2 x 2 m² große Plastiktüte. Weiter geht’s. Viele Quallen säumen meinen Weg. Die meisten wollen nur spielen. Aber es gibt auch fiese Nesselquallen, die für einen gewissen Peeling-Effekt im Gesicht sorgen. Jetzt passiere ich die Bosporus-Brücke. Auf der Wettkampfbesprechung wurde gesagt, dass man sich danach langsam Richtung Ufer orientieren solle. Da aber noch etwa 1200 m zu schwimmen sind und kaum Strömung herrscht, entscheide ich mich weiter für die direkte Linie. Und dann ist der Ponton endlich erreicht. Über eine Leiter hieve ich mich aus dem Wasser. Ein kurzer Blick auf die Uhr bestätigt mein Gefühl: Strömung herrschte kaum. Bei der angekündigten Strömung von 1 m/s hatte ich mich einer Schwimmzeit von ca. 20 min gerechnet. Jetzt sind es fast 36 Minuten.

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Für den langen Weg zur Wechselzone habe ich mir „Druck“ vorgenommen. Tatsächlich habe ich die schnellste Wechselzeit. Ich laufe in den Kanal meiner Altersklasse. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass ein Rad fehlt. „Nur eins?“ Mein Fokus liegt auf den ersten 4 km der Radstrecke. Denn die gehen nur bergauf zur Autobahn hoch mit teilweise 10 % Steigung. Mit über 300 Watt im Schnitt komme ich oben an und überhole kurz vor der Autobahn den schnellsten Schwimmer meiner AK, den Ungarn Zoltán Varga. Er war eineinhalb Minuten kürzer im Bosporus. „Jetzt kommt mein Ding.“ Die 32 km Wendepunktstrecke ist wellig. Es geht stets runter oder hoch mit 2 bis 3 %. Man muss immer auf dem Pedal bleiben. Das Highlight dieses Triathlons ist zweifelsohne die Überquerung des Bosporus von Asien nach Europa und zurück. Und das auf einer Brücke, die heute für ein paar Stunden für den Autoverkehr gesperrt ist. Ich investiere viel ins Radfahren, möchte einen möglichst großen Vorsprung erarbeiten. Mit Erfolg.

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Mit dreieinhalb Minuten Vorsprung gehe ich auf die Laufstrecke. Noch bin ich nicht sicher, wer an Position 2 liegt. Als mein englischer Freund Peter mir auf der Laufstrecke zuruft, dass es der Ungar ist, kann ich an den Wendepunkten beobachten, dass der Vorsprung immer größer wird. Das führt allerdings auch dazu, dass ich mich nach fünf gelaufenen Kilometern nicht mehr so recht quälen kann. Ich entscheide mich, den restlichen Teil der Strecke zu genießen und freue mich im Ziel über meinen fünften Europameistertitel. Und nicht nur das. Es gibt doppelten Grund zur Freude, denn auch mein Schweizer Freud Christoph hat es als Dritter aufs Podium geschafft. Das begießen wir ausgiebig bei einer Cola Zero!

Ergebnisse: https://triathlon.org/events/2025-asia-and-europe-triathlon-age-group-championships-istanbul/results/675802

P.S.: Fun Fact zum Ende: Mal wieder ist auf dem Rückflug von Istanbul nach Hamburg mein Radkoffer nicht mitgekommen!