Dekorative Triathlon-Icons für die Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen

Udo van Stevendaal

Triathlet

Ein Icon für eine Medaille

10-facher Weltmeister und mehrfacher Deutscher- und Europameister

Kann man es noch schlechter machen? - Europameisterschaft Olympische Distanz in Vichy, 22. September 2024

Die Saison neigt sich dem Ende. Eigentlich stehen noch zwei Höhepunkte an. Hoffentlich geht alles gut und ich bleibe gesund. Während ich im letzten Jahr stets fit und gesund an der Startlinie stand, hat das in diesem Jahr bisher nur so semi-gut geklappt. Auch vor der Europameisterschaft in Vichy sollte es mir nicht gelingen, da ich vier Tage vor dem Rennen beim Spazierengehen (!) umgeknickt bin und nun Schmerzen im Fuß habe bei seitlicher Belastung. Tolle Voraussetzungen.

Vichy liegt mitten in Frankreich und ist eigentlich routinierter Ausrichter von Ironman-Veranstaltungen. Doch dass die Stadt nicht für die Organisation verantwortlich ist, sondern der Ausrichter, konnte man an dieser desaströsen Meisterschaft erkennen.

Am Donnerstag reise ich mit meinem Sportfreund Thomas an, mit dem ich mir wieder ein Zimmer teile. Das hat sich in der Vergangenheit (in Form von Medaillen) bewährt. Andrea und Chris holen uns vom Flughafen ab und führen uns direkt zur Radstrecke, weil es wichtig sei, sich diese katastrophale Straße anzuschauen. Ich dachte, es gibt nur in Deutschland schlechte Straßen. Wahrscheinlich hat der Veranstalter bewusst die Radstrecke so gelegt, weil hier keine Autos fahren (können). Übersäht von Schlaglöchern, abgesenkten Gullideckeln, geflicktem Asphalt und engen Kurven hat der Kurs alles zu bieten, was man sich „wünscht“.

Bei der Wettkampfbesprechung am Freitag wird schon klar, dass viele Dinge unklar sind. „Wie rum muss man laufen? – Keine Ahnung. Wo ist die Mount- und wo die Dismount-Line? – Keine Ahnung.“ etc. Ich werde mich überraschen lassen müssen. Ich werde schon nicht der erste sein, der über die Strecke geht. Immerhin wird klar, dass es kein Duathlon wird, weil die Wassertemperatur in dem Fluss 16 °C beträgt.

Am Samstag steigt dann die Anspannung so allmählich. Das liegt schon allein daran, dass heute die Rennen über die Sprintdistanz ausgetragen werden, bei denen ich zuschaue und die mir bekannten und vertrauten Athleten anfeuere. Dabei ist u.a. mein Sportfreund Thomas, der sehr erfolgreich ist und in seiner Altersklasse Europameister wird. Dann geht es langsam in die heiße Phase. Obwohl die Rennen über die Olympische Distanz erst am Sonntag ab 12 Uhr starten, müssen die Räder bereits am Vorabend zwischen 19 und 22 Uhr eingecheckt werden. Da für den Sonntag starker Regen vorhergesagt ist, decke ich mein Rad komplett ab und versuche, mir die Laufwege in der Wechselzone einzuprägen. Ich frage zwei Kampfrichter, wo es mit dem Rad rausgeht. Schulterzucken. Sie wissen es auch nicht. Sie antworten, sie bekämen in der Nacht noch ein Briefing. Und morgen wüssten dann die Kampfrichter, die in der Wechselzone sind, wo entlang es gehen wird. Toi, toi, toi. Kurz zur Siegerehrung, Thomas zujubeln, dann ins Hotel und ab ins Bett.

Der Vorteil an einem späten Start ist, dass man mal ausschlafen kann. Der Nachteil ist, dass man sowieso nicht schlafen kann und dann noch länger auf dem Zimmer abhängt. Immerhin muss man sich nicht ein Extra-Frühstück organisieren. Um 9:15 Uhr mache ich mich dann auf den Weg zur Wechselzone. Die fast 4 km lange Strecke nutze ich gleichzeitig zum Einlaufen. Noch regnet es nicht. Im Wohnmobil von meinen Freunden ziehen wir uns um. Von hier sind es 10 min bis zur Wechselzone. Ich bin in der zweiten Startwelle um 12:08 Uhr. Mein Kumpel Chris in der ersten um 12:00 Uhr. Wir dürfen aber erst ab 11:15 Uhr in die Wechselzone und unseren Wechselplatz präparieren. Und dann fängt er an, der große Regen. Ab 10 Uhr geht es los. Na toll. Die Radstrecke ist so schon katastrophal. Aber bei diesen Bedingungen auch noch gefährlich. Wir stehen als Erste in der Schlange, als die Wechselzone öffnet. Jeder Handgriff muss sitzen, damit wir es pünktlich zum Start schaffen. Doch ich bin in der Nacht ohnehin alles hundert Mal durchgegangen. Und nach 20 min bin ich fertig. Warum hatte ich mein Rad eigentlich abgedeckt. Jetzt wird sowieso alles patsche nass. Schuhe abdecken? Keine Option! Kostet ja nachher zwei Sekunden. Ich gehe nochmal die Wege ab und versuche, die Kampfrichter zu finden, die sich auskennen mit den Laufwegen. Doch die glänzen mit Abwesenheit. Habe ich mir fast gedacht. Als ich schließlich zum Schwimmstart gehe, ist nicht klar, in welche Richtung es mit dem Rad rausgeht. Es sind auch weder Mount- noch Dismount-Line gekennzeichnet. Wie gesagt: Ich werde schon nicht der Erste sein.

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Die letzte Viertelstunde, die wir im Vorstartbereich verbringen müssen, vergehen dann wie in Trance. Immer wieder gehe ich die Abläufe durch und hoffe vor allem, dass das Schwimmen klappt. Und dann ist es soweit. Die Rennpferde werden losgelassen. Wir dürfen auf den Startponton, der mitten im Fluss liegt. Am Vortag hatte ich bereits festgestellt, dass die meisten ganz links starten, um in der Mitte des Flusses zu schwimmen. Also sichere ich mir den Platz ganz rechts an der Kaimauer. Noch 30 Sekunden. Wir müssen ins Wasser, eine Hand am Ponton. Schnell tunke ich meinen Kopf mehrfach ins Wasser, um mich an die Temperatur zu gewöhnen. Zu meinem Erstaunen ziehen sich meine Lungenflügel ob der Kälte nicht zusammen. Zumindest für den Moment keine Schnappatmung. Meine Füße sind aber bereits eiskalt. Das Horn ertönt. Alle preschen los. Ich gehe es kontrolliert an und komme gut rein. Nach 100 m habe ich meinen Rhythmus gefunden und kann etwas mehr zulegen. Links von mir schwimmt das gesamte Feld. Nur zwei Konkurrenten haben sich etwas abgesetzt und schwimmen ca. 50 m voraus. Aber der Abstand bleibt. Am Ende der langen Geraden nach 650 m kommt die erste Richtungsboje. Ich reihe mich ein, weil es in einem rechten Winkel nach links geht. Ich schätze, dass ich etwa an Position 6 liege. Nun habe ich aber einen Vordermann. 100 m später der nächste Linksknick. Nun geht es zurück in Richtung Start. Mittlerweile befinden wir uns mitten im Feld der vor uns gestarteten M50-Gruppe. Es wird etwas unübersichtlich. Nach 1000 m fühlt es sich hinter meinem Vordermann etwas zu komfortabel an. Ich möchte nicht denselben Fehler begehen wie in Viernheim. Komfortabel darf es sich im Wettkampf NIE anfühlen! Also schwimme ich vorbei und mache weiter Druck. Noch ein Linksknick und schon kommt der Schwimmausstieg. Jetzt erfahre ich endlich, wie mein Schwimmen war. Meine Uhr suggeriert mir: ganz okay. Das bewahrheitet sich auch. „Platz 5. Eine Minute auf 1“, wird mir zugerufen. Klasse. Das passt. Jetzt beginnt das Rennen so richtig.

Der Regen hat nicht nachgelassen. Es schifft in Strömen. Als ich mir den Helm aufsetze, erhalte ich eine kalte Gratis-Dusche. Rad greifen und los. Tatsächlich steht am Ausgang der Wechselzone jemand, der weiß, wo es lang geht. Also rauf aufs Rad und los. Die ersten fünf Kilometer durch die Stadt sind quasi zum Einrollen. Sehr technisch, viele Abbiegungen, Radwege, Kurven und Kreisverkehre. Und das alles auf nassen Straßen. Zweimal habe ich das Gefühl von Aquaplaning. „Bleib‘ wachsam!“, sage ich mir. Ich überhole einen Briten. Sekunden später höre ich ein Quietschen. Ein flüchtiger Blick zurück zeigt mir, dass er anhalten muss. Sein Hinterrad hat wohl blockiert. Nach fünf Kilometern liegt mein Schnitt gerade mal bei 35 km/h. Doch jetzt sind wir endlich raus aus der Stadt – und die schlechten Straßen beginnen. Ich habe zwar den Eindruck, dass ich bereits die Führung in meiner Altersklasse übernommen habe. Da ich vor mir aber immer noch Athleten sehe, mache ich weiter Druck. Allmählich friere ich wenigstens nicht mehr, obwohl meine Hände noch klamm sind. Immer seltener sehe ich Athleten vor mir. Nur noch zwei Briten. Davor ein Führungsmotorrad. Dann geht es nach 16 km in den 4 km langen Anstieg mit in der Spitze 9 %. Gleich zu Beginn arbeite ich mich an den Briten vorbei. Sie sind aber M50. Dann habe ich das Führungsmotorrad vor mir. Und das ist auch gut so. Denn mittlerweile ist mein Visier nämlich nicht nur übersäht von Regentropfen, sondern aufgrund der Bedingungen in diesem Waldstück auch komplett beschlagen. Ich fahre quasi im Blindflug. Kann nur noch die Warnweste des Motorradfahrers erkennen. Das ist ein enormer Vorteil auf der anspruchsvollen Abfahrt: Bremst er, weiß ich, dass ich auch bremsen muss. Fährt er ohne zu bremsen durch die Kurven, lasse ich auch rollen. Nun geht es zurück Richtung Stadt. Auf den Geraden schalte ich meinen Kopf aus und bügle über die Speed Bumps und die Gullideckel. Doch in den Kreisverkehren bin ich wachsam. Die letzten 5 km sind wieder technisch, allerdings etwas anders. Es geht an der Flusspromenade entlang. Unter einer Brücke ist ein blauer Teppich verlegt. Spiegelglatt! Dann Holzplanken. Spiegelglatt! Später erfahre ich, dass sich etliche Athleten langgemacht und Material und Körper geschrottet haben. Ich erreiche die Wechselzone. (Für den Ersten der M50 war die Dismount-Line noch nicht einmal eingezeichnet, sodass er erst am Abstieg vorbeigefahren ist!) Michi und Tobias rufen mir zu: „Platz 1. Noch niemand zu sehen“, als ich auf die Laufstrecke gehe.

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Das Laufen in den völlig durchtränkten Schuhen fühlt sich komisch an. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mir die Energie fehlt. „Musste ich doch zu sehr gegen die Kälte kämpfen?“ Meine Uhr zeigt einen Schnitt von 3:40 bis 3:45 min/km. „Reicht das?“ Ich weiß, dass der eine Franzose eine 3:30 laufen kann. Doch wieviel Vorsprung hatte ich nach dem Radfahren? Dann nach 3 km stehen wieder Michi und Tobias: „1:45 min Vorsprung nach dem Radfahren.“ Ich beginne zu rechnen. „Wenn der Franzose wirklich ne 3:30 läuft, wird’s eng!“ Der Weg durch den Park ist schwer zu laufen. Durch den Regen extrem aufgeweicht, sackt man mit jedem Schritt ein. Die Carbon-Treter bringen hier gar nichts. Nach 5 km die nächste Ansage: „2:30 min Vorsprung!“ „Okay, der Franzose hat also auch mit den Bedingungen zu kämpfen.“ Wenn ich nach der ersten Runde schon hier am Ziel vorbeilaufe, versuche ich zu erkennen, wo man denn in den Zielkanal abbiegen muss. Ich kann aber nichts erkennen. „Egal, ich habe ja noch 20 min Zeit.“ Nach 7 km freue ich mich wieder über Michis Stimme: „Über drei Minuten Vorsprung. Genieße es!“ Ich laufe weiter zügig, aber kontrolliert. „Jetzt bloß nicht noch umknicken!“ Mein Fuß hat bisher gehalten. Ich habe ihn nur leicht gespürt, habe es allerdings auch vermieden, die Linkskurven zu eng zu nehmen. Als ich mich dem Ziel nähere, rufe ich den Zuschauern zu: „Wo muss ich zum Ziel abbiegen?“ Schulterzucken. Dann sehe ich, wie jemand mit Farbe einen Pfeil auf die Straße malt. Aha! Ein kurzer Blick zurück. Niemand. Den Zieleinlauf kann ich genießen.

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Im Ziel empfangen mich die ersten Beiden der Altersklasse M50 und wollen mit mir ein Foto machen, weil sie denken, ich wäre der Dritte in dieser AK. Bis ich ihnen klar mache, dass ich M55 bin und sie noch etwas warten müssen.

Ich konnte diesem Chaos und den widrigen Bedingungen trotzen. Jetzt herrscht pure Freude, die ich mit all meinen Sportfreunden teilen kann. Die Siegerehrung ist stimmungsvoll und passt glücklicherweise nicht zu dem Chaos der übrigen Veranstaltung.

Ergebnisse: https://triathlon.org/results/result/2024_europe_triathlon_championships_vichy/635035

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