Dekorative Triathlon-Icons für die Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen

Udo van Stevendaal

Triathlet

Ein Icon für eine Medaille

10-facher Weltmeister und mehrfacher Deutscher- und Europameister

Irgendwie ins Ziel gebracht - Grand Final in Torremolinos, 19./20. Oktober 2024

Die Saison geht so zu Ende wie sie begonnen hat: angeschlagen aber erfolgreich. Ein Start stand bis kurz vor dem großen Finale der ITU Serie sowas von auf der Kippe, dass ich über das Ende der Saison mehr als zufrieden sein kein, obwohl ein kleiner Makel bleibt.

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Zuerst stand mit dem Vorort von Malaga der Austragungsort des großen Finals fest und somit auch für unsere erfolgreiche Siegerstaffel der letztjährigen WM in Hamburg außer Frage, dass wir uns an die Titelverteidigung machen würden. Dann allerdings wurde der für mich suboptimale Termin kommuniziert, der mitten in der Vorlesungszeit liegt. Das bedeutet: Stress. Ich kann erst am Donnerstagabend an- und muss am Montagmorgen in aller Frühe wieder abreisen. Dazu kommt, dass ich in den letzten zwei Wochen beruflich sehr eingespannt war. Das wiederum war gar nicht so schlimm, da ich mir nach der EM in Vichy ohnehin einen kleinen Infekt eingefangen hatte. Alles also keine so guten Vorzeichen.

Ich bin sehr froh, in Andrea und Chris zwei sehr gute Freunde zu haben. Diese holen mich am Donnerstagabend vom Flughafen ab. Es ist bereits 21 Uhr, als ich in meinem Hotelzimmer bin. Ein wenig müde schaffe ich es gerade noch mein Rennrad zusammenzubauen, um danach ins Bett zu fallen. Doch die Nacht wird leider nicht so erholsam. Seit zwei Tagen plagen mich Ischiasbeschwerden, die immer schlimmer werden. Am Freitag kann ich mich kaum bewegen. Jedenfalls schleiche ich durch die Gegend, krumm und schief wie ein Fragezeichen. Aber es bleibt keine Zeit zum Nachdenken: 10 Uhr Registrierung, 12 Uhr Besichtigung der Radstrecke, 14 Uhr Briefing, 16 Uhr Rad-Check-In. Doch letzteres entfällt und wird wegen des starken Windes auf Samstagmorgen verschoben. Zeit zum Verschnaufen gewonnen. Diese nutze ich, um mir eine halbe Stunde heißes Wasser über den Rücken laufen zu lassen. Danach sind die Ischiasbeschwerden erst einmal verflogen – oder meine Haut so dermaßen verbrannt, dass ich ohnehin nichts mehr merke. Zum Essen gibt’s Brot mit Aufschnitt aus dem Supermarkt. Dann geht’s ins Bett.

Um 6 Uhr geht der Wecker. Ich weiß gar nicht, wie ich aus dem Bett kommen soll. „Hat mal jemand einen Kran?“ Schmerztabletten sind für mich am Wettkampftag tabu. Diese Sensorik möchte ich nicht ausschalten. „Doch wie soll das gehen!?“ Um 7:45 Uhr bin ich beim Rad-Check-In. Es ist noch dunkel. Die Palmen biegen sich im Wind. „Hatte gestern nicht jemand etwas von Windstille gefaselt?“ Glücklicherweise haben wir ablandigen Wind, sodass das Meer einigermaßen ruhig zu sein scheint und nicht so aufgewühlt wie zwei Tage zuvor, als beim Sprint-Wettkampf etliche Athleten Probleme im Wasser hatten und sogar ein Athlet aus Mexiko im Meer und später ein Brite auf der Laufstrecke gestorben sind. Zudem hängt auch ein dunkler Schatten über der deutschen Mannschaft: Ein guter Sportfreund ist auf der Radstrecke im Rennen schwer gestürzt und liegt u.a. mit sieben gebrochenen Rippen in Malaga in der Klinik. All das geht mir durch den Kopf, doch meine eigenen Schmerzen lenken mich immer wieder davon ab.

Die letzten zwei Stunden vor einem Rennen wirken immer so lang, doch vergehen sie schließlich wie im Flug. Jedenfalls weiß ich nachher gar nicht mehr, was ich im einzelnen gemacht habe. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich aufs Warmlaufen verzichtet habe, weil ich es ohnehin wegen meiner Beschwerden nicht konnte. Und so stehe ich dann um 10:05 Uhr mit 118 Athleten aus meiner Altersklasse aufgereiht am Strand von Torremolinos und warte auf den Startschuss. „Was für ein Teilnehmerfeld! So groß war das noch nie.“ Dann endlich ertönt das Startsignal und alle sprinten los, um die 20 m zum Meer zurückzulegen. Bei mir ist es eher ein Humpeln und statt eines Hechtsprungs, ein seichtes Gleiten in das 18 Grad kalte Wasser.

Schnell finde ich meinen Rhythmus und taste mit meinen Gedanken jeden Zentimeter meines Rückens ab: nichts! Keine Beschwerden. Schon mal nicht schlecht. Nach der ersten Richtungsboje bei ca. 200 m bin ich so richtig im Spiel. Ich fühle mich gut und habe den Eindruck, noch nicht so viel verloren zu haben. Ca. 20 m vor mir ist eine Gruppe von etwa 10 Konkurrenten. „Wenn ich es schaffe, dort ran zu schwimmen, kann ich schön den Wasserschatten nutzen.“ Gedacht, getan. Ich habe auch das Gefühl, dass sich gar nicht so viele aus meiner Altersklasse bereits deutlich abgesetzt haben, vielleicht eine Hand voll. Ich versuche, mich zu orientieren, doch kann die nächste Wendeboje nicht erkennen. Diese muss so ungefähr 500 m entfernt sein. „Sie hätten ja zur Orientierung auch mal ein paar mehr Bojen setzen können!“ Ich verlasse mich also ganz auf die 10ner-Gruppe vor mir. „Es können sich ja nicht alle irren.“ Gefühlsmäßig hätte ich einen etwas anderen Kurs eingeschlagen. „No risk, no success.“ Nach ca. 600 m schwimmen wir bereits in die vor uns gestarteten Felder rein. Es wird voller. Doch „meine“ 10ner-Gruppe ebnet mir den Weg. Noch drei Richtungsbojen und schon winkt der Wasserausstieg im tiefen Sand.

Ich habe keinen blassen Schimmer, wo ich positioniert bin, habe aber den Eindruck, dass es nicht so schlecht ist. Der Weg zur Wechselzone ist weit und nicht so einfach, erst durch den Sand, dann eine Behelfsbrücke hoch und wieder runter. Doch jetzt kommt ja erst mein Part.

Die Radstrecke gefällt mir. Drei Runden. Pro Runde am Anfang und am Ende sehr technisch und in der Mitte auf der sehr breiten Schnellstraße hin erst hoch dann runter, und wieder zurück hoch und wieder runter. Ich starte meine Aufholjagd und beginne mein Altersklassenkonkurrenten zu zählen. Nach der ersten Runde habe ich mindestens schon fünf eingeholt und wähne mich vorne. Die Strecke ist enorm voll. Ich bin froh, dass bei den technischen Stücken niemand so genau hinschaut. Mitunter ist es ziemlich brenzlig wie welche hier rumeiern. Nach der zweiten Runde ruft Andrea mir zu: „30 Sekunden auf 2!“ „Was bedeutet das!? Da sind noch zwei Athleten vor mir!?“ Damit habe ich nicht gerechnet. „Und warum gibt sie mir nicht den Abstand zum Führenden durch? Das kann nur bedeuten, dass dieser quasi uneinholbar vorne liegt.“ Mein Kopfkino rattert weiter: „Wenn der jetzt noch so weit führt, dann kann der verdammt schnell schwimmen und auch sehr gut Rad fahren. Und wenn der diese beiden Sachen so gut kann, dann kann der bestimmt auch noch laufen. Aber wie weit ist er denn nun vorne?“ Mein Fokus richtet sich wieder auf die technischen Passagen. Keine Zeit zum Denken. Zum Ende der Radstrecke schießt mir mein Ischias wieder – nein, nicht in den Rücken, sondern – in den Kopf. Bisher habe ich ihn nicht gemerkt. „Wird das Laufen klappen?“

Ich springe vom Rad und merke gleich den ersten Schritt – Shit! Trotzdem schaffe ich es, in den engen Gassen der Wechselzone andere Athleten zu überholen. Rein in die Laufschuhe und ab.

Ich komme mir vor wie eine Dampfwalze. Geschmeidig ist anders. Meine Schritte stampfen auf den Asphalt. Jeder Bodenkontakt mit dem rechten Bein schmerzt im Rücken. Ich kann keinen langen Schritt ziehen. Ein Langdistanz-Profi hätte sich jetzt Schmerztabletten reingepfiffen. Doch für nichts auf der Welt möchte ich dieses Schmerzgefühl eintauschen. Ich versuche, nicht zu verkrampfen und über den Schmerzpunkt zu gehen. Und da, nach ca. 500 m, kommt auch noch die Hiobsbotschaft von meinem englischen Sportfreund Peter: „Second! One minute ahead!“ „Oh je! Wie soll ich mit dieser Laufperformance den Führenden angreifen?“ Nach einem Kilometer schaue ich auf die Uhr: 3:45 min. Gar nicht so schlecht. „Lauf mal weiter so!“ Mein Rücken scheint etwas lockerer zu werden. Und nach etwa drei Kilometer steht Peter wieder am Straßenrand: „First! One minute in front!“ „Wie geht das denn?! Hat mein Mitstreiter doch nur zwei gute Disziplinen?“ Und plötzlich sind meine Ischiasbeschwerden wie weggeblasen. „Das müssen die Endorphine sein.“ Es fällt mir nicht leicht, aber ich schaffe es, einen 3:45er Schnitt zu halten. „Noch 4 km. Eine Minute Vorsprung. Wenn ich so weiterlaufe, muss der hinter mir schon einen 3:30er Schnitt hinlegen, um mich noch abzufangen“, versuche ich mir mit Gedankenspielen die Zeit zu überbrücken.



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Dann kommt der lange Zielkorridor. Ich blicke mich um. Niemand! In diesem Moment weiß ich, dass ich gewinnen werden. Wie geil! Glückseligkeit. Freude! Wohlige Erschöpfung! Am Ende habe ich mehr als fünf Minuten Vorsprung. Das hätte ich nicht zu träumen gewagt. Doch träumen ist jetzt nicht angesagt, denn es warte ja noch was auf mich.

Ergebnisse: https://triathlon.org/results/result/2024_world_triathlon_age_group_championships_torremolinos/635409



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Jetzt heißt es, möglichst schnell zu regenerieren, da morgen die Mixed-Staffel ansteht. Im Moment weiß ich nicht, wie das gehen soll. Im letzten Jahr in Hamburg, hatte ich zwar auch zuvor ein Rennen. Das war aber nur die halbe Distanz (Sprint), und wir hatten einen Tag Pause dazwischen. Also entscheide ich mich zum ersten Mal in meinem hohen Alter, das Massageangebot für Athleten wahrzunehmen in der Hoffnung, dass der Masseur Wunderhände hat. Doch statt mich locker zu machen, massiert er mir einen Krampf in den Oberschenkel! Ich signalisiere ihm, dass ich Ischiasbeschwerden habe. Aber auch er bekommt sie nicht weg. Denn mit dem Sinken des Endorphin- und Adrenalinspiegels sind die Probleme wieder da. In gebückter Haltung bewege ich mich für den Rest des Tages. Rad auschecken, zum Hotel, duschen (stundenlang mit heißem Wasser), essen, Briefing für das Staffelrennen, essen, ins Bett. Die Nacht ist die Hölle! Ich kann mich kaum drehen, von aufrichten ganz zu schweigen. Wäre ich nur für mich verantwortlich, wäre die WM und die Saison für mich jetzt vorbei. Doch ich kann und möchte meine Staffelkollegen nicht im Stich lassen. Auf meinen Kumpel Matthias ist Verlass. Als Physiotherapeut hat er mir mit extrem hilfreichen Tipps schon häufig zu jeder Tages- und Nachtzeit aus der Patsche geholfen. Auch dieses Mal beherzige ich seine Tipps: ausgiebig Spazieren gehen und leicht in den Schmerz reindehnen. Letzteres ist die Hölle!

Unser Start ist um 13:06 Uhr mit vierzig anderen Staffeln, wobei alle Athleten zwischen 50 und 59 Jahre alt sein müssen. Die Reihenfolge ist: Mann-Frau-Mann-Frau. Da der Start als Massenstart erfolgt, macht es Sinn, wenn ein schneller Schwimmer beginnt. Also ich nicht. Matthias ist wie immer eine Bank, bringt unsere Staffel gleich mit in die Spitzengruppe und übergibt etwa an Position 5 an Bettina. Gewohnt souverän macht Bettina im Wasser schon Boden gut, holt auch im weiteren Verlauf mächtig auf und übergibt an Position 2 mit einem Rückstand auf die führende spanische Staffel von nur 16 Sekunden an mich. Da ich komplett aufs Warmlaufen verzichtet habe bzw. wegen meiner f…ing Ischiasbeschwerden darauf verzichten musste, bin ich gespannt auf den ersten . . . „ahhh!“ Es schießt mir in den Rücken. Wie eine Robbe an Land wälze ich mich die 20 m runter zum Wasser. Auch dort wäre ich gerne eine Robbe. Doch hier gleiche ich mehr einer Ente. Es sind zwar nur 300 m zu schwimmen, doch mein spanisches Pendant nimmt mir sage und schreibe 42 Sekunden ab! 30 davon wahrscheinlich auf den 20 m an Land. Dabei bin ich für meine Verhältnisse gar nicht schlecht geschwommen: 1:26er Schnitt. D.h. „la máquina“ muss 1:12 min auf 100 m geschwommen sein. Ob mir das eine Überdosis Adrenalin beschert hat, weiß ich nicht. Jedenfalls sind meine Ischiasbeschwerden wieder wie weggeblasen. Mit einer Minute Rückstand gehe ich auf die Radstrecke. Obwohl eigentlich Windschatten fahren erlaubt ist, stellt sich die Frage für mich nicht. Die einzige Staffel, die vor uns ist, ist zu weit weg. Also: Attacke. Es geht zwei Kilometer zickzack zur Schnellstraße hoch, dort zwei Kilometer hin und her und wieder zwei Kilometer zickzack zur Wechselzone runter. Kurz vor dem letzten zack überhole ich eine kanadische Athletin, die versucht, sich bei mir hinten reinzuhängen. Das wiederum ist nicht erlaubt, nur Windschatten von gleichgeschlechtlichen Athleten! „Hat Windschatten eigentlich ein Geschlecht?“, schießt es mir kurz durch den Kopf, bevor zwei 90-Grad-Kurven auf mich zufliegen. Die zweite läuft extrem eng zu. Ich fange gerade wieder an zu beschleunigen, da höre ich ein Scheppern, welches von meinem Hinterrad kommt. Ängstlich werfe ich einen flüchtigen Blick zurück, ob sich mein Hinterrad gerade verabschiedet hat. Doch ich sehe „nur“ noch im Augenwinkel, wie die Kanadierin in die Absperrgitter rutscht. „Ups!“ Zurück in der Wechselzone gelingt mir ein schneller Wechsel. Von Beschwerden keine Spur. „Wieviel habe ich aufgeholt?“ Nichts! Der Spanier ist sogar noch vier Sekunden schneller gefahren als ich. Das Laufen geht viel besser als gestern. Ich lege mit einem 3:33er Tempo los. Später erfahre ich, dass der Spanier sogar mit einer 3:15 angelaufen ist! „Was zur Hölle kann der eigentlich nicht?!“ Am Ende steht bei mir eine 3:34er Pace und der Spanier nimmt mir nochmal acht Sekunden ab! Völlig blau und ohne Kraft, den Stoppknopf meiner Uhr zu drücken, übergebe ich mit einem Rückstand von über einer Minute an Nicole. Sie hat’s drauf! „Nicole, Du musst es richten!“ Bettina und ich huschen zunächst zum Schwimmausstieg, wobei „huschen“ jetzt nicht unbedingt auf mich zutrifft. Nicole hat schon 30 Sekunden gut gemacht. Nichts wie zur Wechselzone und die bangen 10 Minuten abwartend vom Radauf- zum Radabstieg. Doch die Spanierin hat den Vorsprung in etwas gehalten. Auch beim Laufen büßt sich (leider) nichts mehr ein, sodass wir am Ende als Vizeweltmeister 18 Sekunden hinter den Spaniern ins Ziel laufen. Das erste leichte Hadern weicht der Freude und der stimmungsvollen Party zusammen mit den Spaniern, die super sympathisch sind. „Mein“ Gegner erzählt mir dann auch, dass er um die Jahrtausendwende mehrere Jahre als Profi gestartet ist. Ein kleiner Trost. Der Rest ist nur noch Party und die Vorfreude auf die Off-Season nach einer langen erfolgreichen Saison mit 1 x Weltmeister, 1 x Vizeweltmeister, 2 x Europameister, 4 x Deutscher Meister, 1 x Deutscher Vizemeister.

Ergebnisse: https://triathlon.org/results/result/2024_world_triathlon_age_group_championships_torremolinos/635469

 



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