Dekorative Triathlon-Icons für die Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen

Udo van Stevendaal

Triathlet

Ein Icon für eine Medaille

10-facher Weltmeister und mehrfacher Deutscher- und Europameister

Deutsche Meisterschaften Sprint, 26. Juni 2016

Ich bin kein Freund davon, Starterlisten zu durchstöbern, um mich vor einem Wettkampf verrückt zu machen. Dumm nur, dass ich von zwei Freunden und damit den vermeidlich ärgsten Konkurrenten in meiner Altersklasse wusste, dass sie auch bei der Deutschen Meisterschaft über die Sprintdistanz in Düsseldorf starten würden. Dazu kam noch ein weiterer starker Athlet, der gerade neu in unserer AK45 ist, sodass alles zwischen Platz 1 und 4 möglich schien. Doch wie das Rennen dann verlief, hatte ich mir selbst in den kühnsten Träumen nicht vorgestellt.

Mensch, Mensch, Mensch, der Wettergott scheint doch eine klitzekleine Sympathie für Triathleten zu haben. Gestern noch hatte es wie so häufig in diesem Frühsommer sintflutartige Regengüsse gegeben, sodass viele andere Open Air Veranstaltungen abgesagt wurden. Heute Morgen ist es zwar mit 12 Grad recht frisch, aber dafür lächelt uns zeitweise wenigstens die Sonne ins Gesicht. Und die Straßen sind trocken. Das ist von essenzieller Bedeutung, wie sich noch herausstellen wird! Während der Klimabeauftragte dort oben den Dreikämpfern nicht abgeneigt scheint, sind es die Veranstalter des T3 Triathlons in Düsseldorf wohl schon. Die Radstrecke hatte ich bereits erwähnt, wird aber noch eine Hauptrolle spielen. Das andere ist die Startzeit: 8:20 Uhr! Das bedeutet mal wieder, dass die Nacht um kurz vor Fünf zu Ende war. Das Gute an der Early-Bird Hour ist, dass wir die ersten auf der Strecke sein werden – kein Gedränge!

Beim Check-In registriere ich bereits die Länge der Wechselzone. Der Ballindamm lässt grüßen. Die Stellplätze für die Teilnehmer der DM liegen nahe am Ausgang. Gut oder schlecht? Weiß ich nicht. Egal! Aber es ist kein Teppich verlegt. Das wird das Barfußlaufen auf dem Kopfsteinpflaster zu einer Peeling-Kur machen. Und dann sehe ich sie, all die wachen, ausgeschlafenen, schnellen, fitten, durchtrainierten Athleten. Okay, kann losgehen. Doch vorher versuche ich mir noch beim Einlaufen die Wege in der Wechselzone und den Anfang der Radstrecke einzuprägen – vergebens. Wie konfus ist das denn?! Auch egal, ich werde schon nicht der Erste aus dem Wasser sein, sodass ich den anderen nur hinterherzufahren brauche. Irgendeiner wird schon den richtigen Weg finden. Toi, toi, toi!

Außen ist beim Schwimmen, wo ich bin. Das Wasser im Medienhafen, mit Anbindung zum Rhein, hat 19,5 Grad. Neo, oh mein Neo, in zwänge mich in Dich hinein. Von vor drei Jahren weiß ich, dass der Schwimmstart großräumig ist. Damals konnte ich hier über die Olympische Distanz meinen ersten Deutschen Meistertitel erringen. „Wird es heute wieder eine Premiere geben über die kürzere Distanz?“ Beim Schwimmen ist außen dort, wo ich bin. Die anderen knubbeln sich an der Hafenmauer. Zuviel Stress! Lieber ein paar Meter mehr schwimmen. Und dann weckt ein heiseres Nebelhorn als Startsignal auch die letzten verträumt dreinschauenden Mitgereisten, die bis gerade großen Groll gegen ihre dreikämpfenden Partner ob der kurzen Nacht hegten. Über 400 Arme, die zu robbenartigen Wesen zwischen 20 und 55 Jahren gehören, kreiseln durchs Wasser. Ich komme gut in den „Flow“ und finde von Anfang an meinen Rhythmus, der an der ersten Wendeboje nach 300 m jäh unterbrochen wird: Brustschwimmen, weil jeder auf der Suche nach der Ideallinie ist, inklusive mir. Dasselbe Spiel an der zweiten Boje 50 m weiter. Doch dann wird es entspannter. Nach zwei weiteren Wendebojen und insgesamt ca. 750 m in der braunen Brühe wartet direkt nach dem Schwimmausstieg die nächste Herausforderung: eine Treppe, die 20 Meter nach oben führt. Da alle Altersklassen unterwegs sind, habe ich zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wie ich im Rennen liege. Aber ich habe sowieso nur Sensoren für meine beiden Kumpels. Und der eine Sensor spricht auf akustische Signale an. Kurz vor mir muss Oliver Kalmes die Zeitmessmatte überquert haben, weil der Sprecher seinen Namen nennt. Und tatsächlich. Als ich mich meinem Rad nähere, hat er gerade den Neo abgestreift. „Mmmh, 20 Sekunden“, schätze ich. Später stellt sich heraus, es waren 14. Zu diesem Zeitpunkt bin ich Siebter in der Altersklasse – mein anderer Sportfreund, Klaus Eckstein, hatte die beste Schwimmzeit in unserer AK und war 53 Sekunden schneller – und 35ster gesamt, 1:33 min hinter der Spitze.

Doch nun ab! Für das Radfahren hatte ich mir etwas Besonderes ausgedacht 😉 Ich dachte, es wäre eine schlaue Idee, auf Trinkflaschen zu verzichten. Trinken wird auf der Sprintdistanz sowieso überbewertet. Und für die vielen Kurven und Anstiege über die Rheinbrücken würde ein geringeres Systemgewicht vorteilhaft sein. Wie bescheuert ist das denn?! Die Anfahrt zur Radrunde ist ca. 1 km lang, sehr eng und mit einigen S-Kurven gespickt. Glücklicherweise kommt uns hier noch niemand entgegen. Das würde auf dem Rückweg anders sein. Schnell mache ich ein paar Plätze gut und überhole sogar das Kampfrichtermotorrad, weil es nicht so schnell durch die engen Korridore kommt. Dann befinde ich mich auf der Radrunde, die zweimal zu fahren ist. Es beginnt gleich mit einer 180 Grad Kurve und dem ersten Anstieg auf eine Rheinbrücke. Neun weitere 90 Grad und vier weitere 180 Grad Kurven sollten folgen – pro Runde! Ich habe ja nun ein bisschen Zeit und kann meinem Unmut gedanklich freien Lauf lassen: „Wer hat sich das bloß ausgedacht? Und diese Strecke hier soll heute die Generalprobe für die Sprint EM im nächsten Jahr sein? Was ist, wenn die Straße nass ist? Was ist, wenn die Strecke voller ist?“ Ich verdränge diese Gedanken, weil sich mir die ersten Athleten nähern – von vorne 😉 Nach drei Kilometern spricht mein visueller Sensor an und ich erblicke eine kleine (fair fahrende) Gruppe mit einem mir bekannten Namen auf einer Startnummer: Oliver. „Okay, die 20 Sekunden hast Du schon mal gut gemacht“, geht es mir durch den Kopf. Die Jungs hängen sich bei mir rein. Es geht über die zweite Rheinbrücke, und nach 5 km kommt ein Wendepunkt: Eins, zwei, . . ., 13 sind vor mir. „Aber wo ist Klaus? Was ist mit meinem visuellen Sensor los? Ist er so schnell geschwommen? Oder ich doch so langsam?“ Ah, da, nach 7 km kann ich an ihm vorbeifahren. Aber irgendwie fühlt es sich langsam an. Bei den Anstiegen auf die Rheinbrücken zeigt mein Tempomat gerade mal 30 km/h an. Ich blicke mich um. „Wo sind meine Verfolger? Vielleicht ist es doch nicht so langsam.“ Als ich zum zweiten Mal nach 15 km den Wendepunkt passiere, zähle ich erneut: „Eins, zwei, zwei, zwei, . . ., keiner mehr! Ich bin an Position 3! Gesamt? Ja!“ Aber die jungen Jungs aus der AK25 vor mir sind verdammi schnell! Kein Wunder, handelt es sich doch bei dem einen zum Beispiel um Tim Lange, der für das Ejot Team Buschhütten in der ersten und zweiten Bundesliga startet und dort regelmäßig vordere Plätze belegt. Er kann die 10 km unter 32 Minuten laufen! Dann, drei Kilometer vor der Wechselzone passiere ich auch die beiden Führenden. Aber sie sind bereits zu abgebrüht, um sich abkochen zu lassen. Sie beißen sich fest. Nach der zweiten Radrunde geht es genauso verwinkelt und konfus zurück zur Wechselzone. Doch nun kommen uns Radfahrer der nachfolgenden Startgruppen entgegen. Kurven werden geschnitten, doch nichts passiert. Gott sei Dank! Kurz bevor ich vom Rad steige, muss ich mich mal zwicken: „In diesem Feld, `First off the bike`! Trotz gefühlter Achterbahnfahrt: First off the bike. Wie cool ist das denn!?“ Doch die Freude währt nicht lang! Bereits auf dem endlos scheinenden Weg zu meinem Stellplatz überholen mich die drei, die ich kurz zuvor eingesammelt habe. „Ja, ja, ist ja schon gut. Ich wollte ja nur ein bisschen mitspielen. Wenn ihr so viel schneller lauft, dann sehen wir uns im Ziel.“ Elefantenrennen um Platz 3.

Während ich in meine High Heels schlüpfe, huschen die Burschen an mir vorbei, zwei aus der AK25 und einer aus der AK35. „Okay, nach hinten absichern“, geht mir durch den Kopf. Doch wie groß der Vorsprung ist, würde ich erst beim Wendepunkt nach 1,5 km erfahren. Also: vollet Rohr! Und dann geschieht etwas schier Unglaubliches. Der Abstand zu meinen Vorderleuten ändert sich nicht. Gut, der Erste setzt sich ab. Aber die Abstände zum Dritten (50 m) und zum Zweiten (100 m) bleiben gleich. Gedanken triggern eine Art Metamorphose: „Zweimal war ich jetzt bei Deutschen Meisterschaften schon Gesamt-Vierter. Jetzt ist das Treppchen zum Greifen nah!“ Plötzlich fühlen sich meine Beine gut an. Ich probiere alles, um mich näher an die Beiden heranzuschieben, laufe am Limit. Doch der Abstand bleibt gleich! Kleine Rampe nach unten, Beschleunigung. Wendepunkt, Beschleunigung. Rampe nach oben, Beschleunigung. Nichts! Es tut sich NICHTS! Ich denke an einen Satz, den der große Muhammad Ali von sich gegeben hat: „Wenn mein Kopf es sich ausdenken kann, wenn mein Herz daran glauben kann – dann kann ich es auch erreichen.“

Mit meinem Waden beißenden Schatten. Und dann, nach der ersten Runde und 2,5 km, schwächelt der Jungspund vor mir. Meter um Meter kann ich mich an ihn heranschieben. Ich fühle mich an ein LKW-Elefantenrennen auf der Autobahn erinnert. Ich kann ihn ein- und überholen. Ab jetzt bin ich der Gejagte! Er lässt sich einfach nicht abschütteln und ich spüre förmlich den Biss seiner Zähne in meiner Wade. Wieder versuche ich nach jeder Kurve anzutreten. Ich erhöhe das Tempo. Keine Chance! Außerdem registriere ich, dass der Abstand zum Zweitplatzierten gleich bleibt. „Okay, wenn ich den schon nicht mehr bekomme, dann wenigstens den dritten Platz. BITTE!“ Eineinhalb Kilometer vor dem Ziel nehme ich etwas Tempo raus, um ein wenig durchzuschnaufen, halte es aber hoch genug, dass mein Verfolger „beschäftigt“ bleibt. Der Zielsprint muss es richten. „Doch habe ich gegen diesen jungen Hüpfer überhaupt eine Chance? Und wann soll ich antreten?“ Ich entschließe mich für einen Antritt nach der letzten Kurve ca. 300 m vor dem Ziel. Jetzt geht es ab. Ich spüre seinen Atem. Jetzt oder nie! „Lässt der denn gar nicht locker?“ Bis heute wusste ich gar nicht, dass es eine Steigerung von „Übersäuerung“ gibt 😉 Diese Komparation lerne ich gerade kennen. Als ich den blauen Teppich des Zielkanals erreiche, der die letzten 100 m markiert, sind meine Beine ebenso blau. Rien ne va plus. Mit einem Hauch von Sauerstoff, der noch in meinen Halsmuskeln zu stecken scheint, schaffe ich es, den Kopf zu drehen und nach hinten zu blicken und sehe, dass mein Verfolger aufgegeben hat. Aber ich kann auch nicht mehr! Fünf Meter vor dem Ziel hören meine Beine auf zu laufen. Mit letzter Kraft mache ich den finalen Schritt – Dritter der Gesamtwertung! Endorphine durchströmen meinen Körper. „Was passiert eigentlich, wenn sich Endorphine mit Laktat vermischen?“, geht es mir gerade blödsinnigerweise durch den Kopf, als mich der Zweitplatzierte beglückwünscht und in die Runde verkündet: „Schaut euch Udo an, was der als 50jähriger noch leistet!“ Ej, Moment mal. Sehe ich schon so alt aus? In diesem Augenblick wahrscheinlich schon!

Kurze Zeit später kann ich mich mit meinem Sportfreund Oliver freuen. Als Gesamt-Fünfter (!) wird er Zweiter in unserer Altersklasse. Dass meine anfänglichen Bedenken, man könne hier auch leer ausgehen, nicht unbegründet waren, erfährt leider mein anderer Kumpel Klaus. Als Gesamt-Dreizehnter verfehlt er leider eine Medaille in unserer AK45 – unglaublich! Seine Leistung hätte zu einem Treppchenplatz in den Altersklassen 20, 30, 35 und 40 gereicht! Und was gibt es sonst noch? Beim Betrachten der Ergebnisliste stellte ich fest, dass der Zweite nur sechs Sekunden vor mir im Ziel war. Sechs Sekunden! Hätte ich beim zweiten Wechsel mal doch nicht so gebummelt 😉

Und? Ach ja, es wurde eine Prämie für den schnellsten Radfahrer vom Veranstalter ausgelobt. Ich hätte nie gedacht, dass man mit einem Schnitt von 39,4 km/h vorne liegen würde. Der Zufall wollte es jedoch, dass ich das war 😉 Ich bin mir sicher, das lag an der Gewichtsersparnis von ca. 400 g aufgrund fehlender Radflasche 😉 Aber wie bereits eingangs erwähnt, scheint der Veranstalter nichts für Triathleten übrig zu haben, da er die Ehrung dafür auf 19 Uhr angesetzt hat. Da lag ich bereits zu Hause auf dem Sofa mit einer Tüte Chips und einer Flasche Cola Zero und habe mir genüsslich die zweite Halbzeit von Deutschland gegen die Slowakei angeschaut. Und von der DTU gab es zur Siegerehrung einen Glückwunschbrief, dass ich mich mit dieser Leistung für die EM im nächsten Jahr auf gleicher Strecke qualifiziert hätte. Da frage ich mich: „Ist das Glück? Oder eher eine Androhung?“

Ergebnisse: http://t3-duesseldorf.r.mikatiming.de/2016/?pid=list