Der hat mir gerade noch gefehlt – Triathlon EM in Weert, 2. Juni 2019
Ein unglaubliches Schwimmen ist mir gelungen! An den Fersen des schnellsten Schwimmers steige ich aus dem Wasser, lege einen Blitzwechsel hin und sitze bereits auf dem Rad als die anderen sich noch aus dem Neo pellen. Berauscht von der Performance in der ersten Disziplin fliege ich über die Radstrecke, trete 350 Watt im Schnitt und erreiche mit acht Minuten Vorsprung die zweite Wechselzone. Den Rest könnte ich locker verwalten. Doch frisch wie noch nie schlage ich einen 3:30er Schnitt an und genieße die Endorphine, die meine Adern durchströmen. Der letzte Kilometer wird ein Genuss. Dabei übersehe ich, wie sich mein Schnürsenkel geöffnet hat. Kurz vor dem letzten Überqueren der Kanalbrücke ca. 200 m vor dem Ziel stolpere ich über meine Füße, kann mich nicht mehr halten und lande im Kanal. Alles ist dahin! Ich bin klitschnass – als ich aus diesem Traum aufwache!
Vielleicht vertrage ich diese Hitze nicht. Ich hätte doch besser die Klimaanlage im Hotelzimmer anstellen sollen. In zwei Stunden geht der Wecker. Ich kriege eh kein Auge mehr zu. Dann nutze ich die Zeit eben, um die Strecke im Geiste nochmal durchzugehen. Denn für die Radstrecke haben sich die Holländer etwas ganz Besonderes einfallen lassen, was einen Triathleten intellektuell schon überfordern kann!
Das Frühstück ist nicht wirklich eines. Clever wie ich bin, habe ich mir zwar Honig und Marmelade von zu Hause mitgebracht, weil es am Sonntag um 6 Uhr im Hotel ja noch kein Frühstück gibt. Ich vergaß aber, dass die holländischen Brötchen eher an eine Dichtmasse für Leitungsrohre erinnern. Immerhin muss ich das süße Zeug nicht aus dem Glas löffeln und schiebe mir zwei von diesen Gummiteilen rein. Dann mache ich mich mit meinem Mitstreiter Matthias (AK45) auf den halbstündigen Weg nach Weert, einem Kaff zwischen Roermond und Eindhoven.
Das Schöne an der Hitze ist, dass man nicht viele Klamotten durch die Gegend zu schleppen braucht, was bei dieser Logistik schon anspruchsvoll gewesen wäre. Wir müssen nämlich zunächst die Wechselzone 2 (Rad – Lauf) ansteuern, um unsere Laufsachen zu deponieren. Laufschuhe und Käppi in eine Box – that’s it. Kurz noch überlegen, ob ich alles habe – ja. Dann noch mal eben die Laufwege in der Wechselzone checken. Denn wenn nachher hier die Räder stehen, wird alles anders aussehen. Es ist mittlerweile 7 Uhr. Kaum jemand spricht ein Wort. Dann müssen wir mit dem Rad und allem, was wir sonst noch für die ersten beiden Disziplinen benötigen, zum sieben Kilometer entfernten Baggersee radeln. Glücklicherweise ist es trocken – und warm. Oder leider? Ich weiß es nicht. Wird sich bestimmt noch rächen. Jetzt bloß keinen Plattfuß mehr!
Am Baggersee wird es langsam voller. Noch zwei Stunden bis zu meinem Start um 9:30 Uhr. Meine Altersklasse M50 bildet die letzte Startwelle. Vor uns sind die Jüngeren dran. Alle anderen hatten ihren Wettkampf bereits gestern. Jetzt ist alles Routine. Viele bekannte Gesichter, mit denen man gerne schnacken möchte. Doch beim Einrichten des Wechselplatzes muss ich mich nochmal konzentrieren. Nur keinen Fehler machen. Oh Mann, ich sehe all diese fitten Athleten und denke mir mal wieder, dass ich gegen die sowieso keine Chance haben werde. Die vielen Holländer, 19 an der Zahl, die bei ihrem Heimspiel hochmotiviert sind. Oder die übermächtigen Briten, die mit 21 Athleten in meiner Altersklasse sogar die größte Gruppe stellen. Diese haben sich etwas ganz Geschicktes einfallen lassen: Jeder Athlet muss sich seine Startnummer jeweils auf den linken und den rechten Arm und auf eine Wade tätowieren. Die Bezeichnung der Altersklasse kommt auf die andere Wade. Die Briten haben sich die Altersklassenbezeichnung aber seitlich auf das Bein tätowiert, damit man sie nicht von hinten sehen kann. Sehr geschickt! Oder unfair? Ist mir egal. Ich kümmere mich um meinen „Kram“.
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Ab 9 Uhr werden die Startwellen losgeschickt. Die Lufttemperatur beträgt mittlerweile bereits 20 °C. Und das Wasser? Das wird eine Wundertüte, weil man sich nicht einschwimmen darf. Es soll 18,7 °C haben. Vorgestern waren es noch 16 °C. Mal sehen. Dann kommt der Aufruf für meine Startwelle. Das Line-Up direkt an der Wasserkante. Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Als sie stoppt, ertönt das Signal. Mir geht noch durch den Kopf, dass das so ein bisschen an die Reise nach Jerusalem erinnert, kann aber nicht lange denken, weil ja alle schon losstürmen. Vier, fünf Schritte, dann habe ich keinen Boden mehr unter den Füßen. Das Wasser fühlt sich gut an. Frisch, aber nicht zu kalt. Wie üblich ganz außen, finde ich langsam meinen Rhythmus, reihe mich nach ca. 200 m ein und finde ein paar Füße, die so vor meiner Nase herumdümpeln. Nach der ersten Richtungsänderung werden die Füße aber langsamer. „Nanu. Hat der sich übernommen?“ Ich erspähe ein paar Meter weiter neue Füße und lege einen kurzen Zwischenspurt ein. Noch zweimal das Ganze und nach 500 m habe ich endlich den passenden Vordermann gefunden. Läuft. Nach 24:45 min habe ich wieder Boden unter meinen Füßen. Nicht besonders gut. Aber nach meinem Ausstieg vor zwei Wochen bei der Mitteldistanz DM in Heilbronn auch nicht schlecht.
Jetzt beginnt das Rennen sowieso erst für mich. Als Sechszehnter von 66 in meiner Altersklasse schwinge ich mich aufs Rad und gehe auf den Popo-ebenen Kurs. Die ersten drei Kilometer sind ein Anfahren zur Runde. Dann links über den Kanal, wieder links auf die Straße und links bleiben – hä!? „Wieso denn links? Ist das zu Ehren der Briten, die insgesamt hier sicherlich ein Drittel aller Starter ausmachen?“ Nein! Kommt ja noch schlimmer! Jetzt geht’s schnurgeradeaus bis kurz vor die belgische Grenze. Wendepunkt. Und zurück. Auf Höhe der Zufahrt auf diese Runde muss man dann wieder die Straßenseite wechseln von links nach rechts! „Alter Holländer! Da habt ihr Euch ja was ausgedacht! Ist das hier ein Triathlon oder ein IQ-Test?“ Die 40 Kilometer sind auf zweieinhalb Runden aufgeteilt. Als ich nach eineinhalb Runden an der zweiten Wechselzone vorbeikomme, ruft Jens mir zu: „an drei!“ Wow, das hätte ich nicht gedacht! „Ich habe doch kaum einen gesehen, der eine „M50“ auf der Wade hatte. Ach nee, Moment mal, da waren ja die cleveren Briten!“
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Nach 40 Kilometer erreiche ich drei und fünf Sekunden hinter den beiden Führenden die zweite Wechselzone. Mein Tacho zeigt einen Schnitt von 42,8 km/h! „Was zeigen meine Beine jetzt noch?“ Denn das Thermometer zeigt sich auch – mit satten 28 °C!
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Ein schneller Wechsel verschafft mir die Pole Position. Ich bin mir nicht sicher, ob sich das Laufen gut oder schlecht anfühlt. Was sagt denn meine Uhr? 3:40 min nach dem ersten Kilometer. „Okay, das geht.“ Vier Runden á 2,5 Kilometer sind zurückzulegen. Nach einer Runde ruft mir jemand zu: „Acht Sekunden auf Platz 2, 30 Sekunden auf Platz 3.“ Puh. Die Beine werden immer schwerer. Die Sonne brennt. Das ist eine enge Kiste! „Was haben die Jungs noch drauf?“ Ich bleibe dran. Nach fünf Kilometer höre ich patschende Schritte hinter mir. Die Laufstrecke ist zwar rappelvoll, doch niemand hat mich bisher überholt. Das muss also jemand aus meiner Altersklasse sein. Der kleine Belgier schiebt sich neben mich. Mein Sportfreund Ingo würde jetzt fragen: „Was ist da los?“ Ich schaue verzweifelt auf seine Wade, ob ich die Altersklasse ausfindig machen kann. Doch scheinbar hat der Belgier britische Wurzeln. Ich sehe nix. Also begnüge ich mich mit der Nummer am Arm: 969. „Mist!“ Die hohen Nummern sind meiner Altersklasse zugeordnet. Und dann sehe ich auch nur noch seine Fersen. Ein kurzes Aufbäumen. Doch ich muss ihn ziehen lassen. „Zweiter Platz ist doch auch ganz schön!“ Ich kämpfe bis zum Schluss, weil ich wenigstens eine Medaille mitnehmen möchte. Bin doch schon so weit gekommen. Und jetzt, das letzte Mal über die Kanalbrücke. Ich blicke nochmal auf meine Schnürsenkel – alles safe! Kurzer Blick nach hinten. Endspurt. Zweiter Platz. Super!
Bettina und Jens kommen auf mich zu: „Glückwunsch! Europameister!“ „Was? Ich? Kann nicht sein! Der Belgier war doch vor mir!?“ „Nein, der Sprecher hat das doch gerade verkündet“, sagen sie mir. „Welcher Sprecher? Ich habe nichts gehört!“ Das Laktat scheint die Endorphine verdrängt zu haben und hat sich wohl auf mein Trommelfell abgesetzt. Auch die Ergebnisliste zeigt keinen Belgier in meiner AK. „Wie geil ist das denn!“ Kurz geht mir der Spruch durch den Kopf, den ich auf einem Schild vor ein paar Tagen gelesen habe: „Nicht siegen ist wichtig. Sondern dabei sein und gewinnen!“
Später stellt sich heraus, dass der Belgier sich nicht nur von den Briten hat inspirieren lassen, was die Altersklassenmarkierung auf der Wade anbelangt – Anmerkung der Redaktion: Er sollte sich nicht von Briten inspirieren lassen! Das endet im Belexit! – sondern hatte zumindest vor dem Start wohl den Intellekt des großen amtierenden amerikanischen Staatsmannes und hat sich die Nummer falsch herum auf den Arm tätowiert. Es hätte eine 696 sein müssen, weil er zur AK40 gehörte.
Bettina hat auch ein grandioses Rennen geliefert. Sie lag mit ihrer Schwimmzeit fast ganz vorne, wohl gemerkt: im Gesamtfeld von Männer und Frauen! Hat ein starkes Radfahren hingelegt und beim Laufen trotz Schmerzen unglaublich gekämpft, was einen tollen zweiten Platz bedeutete. Matthias hat nur um ein paar Sekunden eine Medaille verpasst. Dreißig Sekunden schneller und es wäre sogar Silber geworden! Und Jens hat im mega-starken Feld der AK60 einen sehr guten sechsten Platz belegt. Es war also ein tolles Abschneiden unserer kleinen Reisegruppe.
Ergebnisse:
https://www.triathlon.org/results/result/2019_weert_etu_triathlon_european_championships/338601
DTU-Bericht:
https://www.dtu-info.de/news/2019/starkes-ergebnis-der-altersklassen-nationalmannschaft.html