Das Beste kommt zum Schluss – Triathlon WM in Lausanne, 1. September 2019
Das (sportliche) Jahr war für mich unglaublich! Weltmeister im Duathlon, Europameister im Triathlon, Deutscher Meister über die Sprint- und über die olympische Distanz – mehr geht nicht. Alles, was jetzt noch kommen würde, wäre Zugabe. Und meine Form stimmte. Zwei Wochen vor der Weltmeisterschaft über die olympische Distanz in Lausanne absolvierte ich bei der DM in Beilngries wohl mein bisher bestes Rennen über eben diese Strecke. In allen drei Disziplinen konnte ich jeweils meine nahezu besten Leistungen abrufen. Ich freute mich auf die WM. Und – man mag es kaum glauben – ich freute mich auf das Schwimmen, wähnte ich mich doch in der besten Schwimmform meines Lebens. Doch dann kam alles ganz anders!
Die Schweiz hat hohe . . . Preise . . . und Berge. Daher verwundert es nicht, dass beim Triathlon in der Stadt des „Headquarters“ des IOC am malerischen Genfer See so einige Höhenmeter zusammenkommen würden. Auf der Radstrecke habe ich es ja bisher schon einige Male erlebt. Beim Laufen sind Höhenmeter eher etwas ungewöhnlich im Rahmen eines olympischen Triathlons bei einer Weltmeisterschaft. Aber dass die Schweizer sogar Höhenmeter beim Schwimmen können, ist schon der absolute Wahnsinn. Tunnel bauen können sie übrigens auch, aber das ist ein anderes Thema. 😉
Das Wetter verspricht für das gesamte Triathlon-Wochenende perfekt zu werden. Es ist fast schon tropisch mit Temperaturen um die 30 °C und einer sehr hohen Luftfeuchtigkeit. Und still und starr ruht der See. Als wir am Donnerstag anreisen, wirft das Ereignis schon seine Schatten voraus: Überall radeln und laufen schon Athleten. Das Zielbanner ist bereits aufgebaut und Straßensperren errichtet. Im Vorfeld hatte ich mich – wider meiner Natur – von verschiedenen Seiten beunruhigen lassen ob der sehr steilen Anstiege beim Radfahren. Also habe ich kurzfristig noch ein 28er Ritzel auflegen lassen und bin jetzt neugierig, ob das reicht, die 20%igen Anstiege hochzukommen. Also rauf aufs Rad und die Strecke abfahren. Das erweist sich zur Rush Hour in Lausanne als keine gute Idee. Sehr mühselig quäle ich mich durch die Autoschlangen. Aber immerhin erfahre ich, dass die Anstiege, derer es drei pro Runde gibt, kein Problem darstellen. Vielmehr eine Abfahrt! Hölle! Was ist denn das?! Über 12% geht es ca. 300 m bergab gefolgt von einer 90-Grad-Rechtskurve. Und zu allem Überfluss kommt man oben schon in die Abfahrt geschossen, wie Franz Klammer auf der Streif! Apropos Klammer, ich klammere mich an meine hier so lieb gewonnenen Bremshebel und möchte sie gar nicht mehr loslassen. Voller Sorge schaue ich auf meine Bremsbeläge und sehe wie sie mit jedem Meter der Abfahrt weiter abgehobelt werden. „Sind unten noch welche dran? Ich brauche sie doch noch für den Wettkampf!“ Der Rest der Radstrecke ist gut zu fahren: technisch anspruchsvoll mit einer langen Bergauf-Passage und sehr langen flacheren Bergab-Stücken. Nie wirklich flach! Nationenparade, Eröffnungsfeier und –party findet alles am Donnerstag statt und ist sehr stimmungsvoll. Ich treffe alt bekannte Gesichter wieder aus Deutschland, Brexit-Chaos-Großbritannien und Gibraltar. „Vielleicht sollten sie Gibraltar statt Großbritannien in die EU aufnehmen?“
Freitag: Und still und starr ruht der See. Eine kleine Inspektion der Laufstrecke verursacht bei mir schon Schnappatmung! „Alter, was ist das denn?!“ Ein Anstieg, bei dem der Norddeutsche bereits Steigeisen und Fixseile benötigt, hinauf zum Olympischen Museum gefolgt von einer serpentinenförmigen Abfahrt – ach ne, wir sind ja beim Laufen – die wiederum eher Felix Neureuther liegen würde. „Was, bitte schön, soll das denn? Nur, um ein Mal den Herrschaftssitz von Bach zu sehen?“ Zwei weitere Anstiege sind zwar nicht so steil, aber dafür länger und ebenso unerfreulich! Nie wird man auf dieser Laufstrecke einen Rhythmus finden. Nachmittags inspiziere ich dann nochmal die Schwimmstrecke. 😉 Der See ist schön klar und ruhig und angenehm temperiert mit 23 °C. Das riecht nach Neoverbot. Das ist gut so, denn meine Wasserlage in dem See lässt sich sehen. 😉
Samstag: Und still und starr ruht der See. Es gibt immer etwas zu tun. Heute finden die Rennen über die Sprintdistanz der Altersklassenathleten statt. Außerdem die Rennen der Elite-Athleten. Also heißt es anfeuern, unterstützen und staunen, ansonsten chillen. Am späten Nachmittag checke ich mein Rad ein und präge mir die Laufwege in der Wechselzone ein, die eher einem Rummelplatz auf dem Heiligengeistfeld ähnelt. Alleine die Wechselzone wird für zwei Laufkilometer mehr sorgen. Kann mir nur recht sein. Dann Abendessen und ab ins Bett.
Sonntag, 6 Uhr: Ich trete auf den Balkon und blicke voller Erwartung von „still und starr ruht der See“ auf selbigen. Pustekuchen! Da ruht nichts! Wellen peitschen die Boote gegen den Steg! „Dabei kann man doch nicht schwimmen! Wird dann doch Neo erlaubt sein, oder wie?“ Nach dem traditionellen Frühstück im Hotelzimmer mache ich mich auf zur Wechselzone, um die letzten Griffe anzulegen. Ein großes Schild weist am Eingang bereits auf ein Verbot der schwarzen Pelle hin. Okay. Um 8:45 Uhr stehe ich auf der riesigen Wiese des Strandbades, die als Vorstartbereich fungiert. Badekappenträger in verschiedenen Farben wuseln hin und her. Meine grüne Farbe ist um 9:23 Uhr dran. Fünf Minuten vor uns ist bereits eine andere Welle aus meiner Altersklasse losgeschickt worden. Dort befinden sich einige Top-Favoriten, unter anderem ein Ami namens Skaggs. Dieser hatte bereits am Vortag souverän das Rennen über die Sprintdistanz gewonnen. „Würde er heute noch die Beine haben, um ganz vorne mitzumischen?“ In meiner Startwelle sind zwei weitere Favoriten: Chris aus Gibraltar und Oliver aus Deutschland.
Der See ist dermaßen aufgewühlt als wir schließlich mit einem Wasserstart losgeschickt werden. Erst geht es ca. 300 m geradeaus zur ersten Richtungsboje. Die ersten 100 m fühlen sich gar nicht so schlecht an. Ich versuche, meinen Rhythmus zu finden – vergeblich! Der erste Schwall Wasser macht aus dem Versuch ein jähes Ende. Beim nächsten Atemzug versuche ich, zur anderen Seite zu atmen. Und zack, der nächste Schwall. An Wasserschatten-Schwimmen ist überhaupt nicht zu denken. Mittlerweile kämpfe ich mehr ums Überleben. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis ich die erste Boje erreiche. Kurz keimt in mir der Gedanke auf, mich daran für die nächsten Stunden festzuhalten. Aber Triathlon ist ja kein Kindergeburtstag! Also weiter. Nach 800 geschwommenen Metern habe ich durch das Auf und Ab der Wellen fast ebenso viele Höhenmeter zurückgelegt. Grüne Kappen mache ich vor mir nur in weiter Ferne aus. Da kommen noch zwei an mir vorbeigeschwommen, ein Belgier und ein Mexikaner. „Na immerhin bin ich nicht alleine hier hinten“, denke ich und hänge mich ran. Nach endlos langen Minuten („ist die Sonne etwa schon untergegangen?“) erreiche ich den Strand des Freibades. Und da kommt auch schon der nächste Nackenschlag: „Sechs Minuten auf die Spitze“, wird mir zugerufen. „Sechs Minuten? Das ist nicht zu schaffen! Nicht einmal für einen Platz unter den ersten Fünf.“ Ich halte kurz inne, reboote mein System neu. „Okay, jetzt startest Du also nochmal bei Null.“ Pierre de Coubertin, Pionier der olympischen Idee, hatte einst gesagt: „The important thig in life is not the triumph, but the fight; the essential thing is not to have won, but to have fight well.“
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Ich liege an Position 29 als ich mich aufs Rad schwinge. Und ab. Den ersten Anstieg fliege ich hoch, die folgende Abfahrt rausche ich runter, verdiene mir sogar eine STRAVA-Krone. In den Anstiegen mache ich viele Plätze gut. Doch gleich kommt die sagenumwobene Abfahrt – und da ist sie auch schon. „Ach, was soll’s. Fahre einfach nach Gefühl“, sage ich mir. Und es klappt. Sogar Bremsbeläge habe ich unten noch. Beim dritten Wendepunkt auf der ersten Runde erblicke ich einen der Favoriten, Oliver. Er hat ca. 400 m Vorsprung. „Aha, es gibt also noch andere, die so besch… geschwommen sind wie ich!“ Nach der ersten Radrunde habe ich Oliver eingeholt und fordere ihn auf, bei mir mitzugehen. Das klappt. Kurz vor Ende der Radstrecke überhole ich Chris aus Gibraltar. „Good job“, ruft er mir zu. „Was heißt das jetzt? Liege ich doch nicht so schlecht?“ Gemeinsam mit Chris und Oliver erreiche ich die Wechselzone, verlasse sie aber nach einem Blitzwechsel 12 Sekunden vor ihnen wieder.
Doch die Beine fühlen sich nicht besonders gut an. Und als mir jemand zuruft: „Drei Minuten Rückstand auf Platz 4“, kommt noch mehr Pudding hinzu. „Drei Minuten auf 4?“, das Kopfkino beginnt zu rattern. „Was heißt das jetzt? Bin ich Fünfter? Oder liegen noch 20 dazwischen? Drei Minuten auf 4. Wieviel ist es denn noch auf Platz 3?“ Denn eine Medaille bei Meisterschaften wäre schon schön! Also mache ich das, was alle machen: laufen. Es bleibt mir sowieso nichts Anderes übrig. Auf dem verwinkelten Kurs, der zweimal zu durchlaufen ist, kann ich erkennen, dass ich mich ein wenig von den Verfolgern absetzen konnte. „Es können also nur noch welche aus der ersten Startwelle vor mir sein. Aber drei Minuten auf 4?! Das ist ein Brett!“ Nach einer Runde ist bei meinen Supportern Schulterzucken angesagt: „Wir können Dir nichts sagen. Die Ergebnis-App spielt verrückt! Du musst was machen!“ Also weiter. Doch die Beine sind ganz schön schwer. Dann, ca. 600 m vor dem Ziel nochmal ein Zuruf: „Eineinhalb Minuten auf 4. Hau rein!“ „Eineinhalb auf 4? Das ist auf 600 m nicht zu machen!“ Doch ich denke an Pierre de Coubertin und gebe alles.
Endlich im Ziel! Ich weiß – nichts! Warte auf Chris und Oliver, die noch weniger wissen. Chris meint, ich sei Erster aus der zweiten Startwelle gewesen. „Doch so gut? Trotz des Schwimmens?“, denke ich mir. Als ich den Athletenbereich verlasse, geht das Gerücht, ich sei Gesamt-Zweiter. „Im Ernst? Wie geil ist das denn?!“ Zu meiner Freude bestätigt sich das Resultat. Es stellte sich heraus, dass ein Japaner disqualifiziert wurde, weil er im Wirrwarr der Badekappen eine falsche Startwelle erwischt hat. Ein anderer Athlet tauchte nicht mehr in der Ergebnisliste auf. Es blieb nur noch der Ami Robert Skaggs, der bereits am Vortag Weltmeister über die Sprintdistanz geworden ist. Er ist nicht nur drei Minuten schneller geschwommen als ich, sondern hat mir auch beim Laufen nochmal zwei Minuten aufgedrückt. Jetzt bin ich aber überglücklich über meinen Vizeweltmeistertitel nach dieser langen Saison – und dieser katastrophalen Schwimmleistung! Triathlon kann eben jeder – bei guten Bedingungen. Aber man muss auch mit widrigen Bedingungen klarkommen. Und da war Robert heute einfach stärker. „Okay, Robert, see you next time!“
Ach ja, und Montag: Und still und starr ruht der See! (Hat nicht sollen sein).
Ergebnisse: https://www.triathlon.org/results/result/2019_itu_world_triathlon_grand_final_lausanne/347538