Dekorative Triathlon-Icons für die Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen

Udo van Stevendaal

Triathlet

Ein Icon für eine Medaille

10-facher Weltmeister und mehrfacher Deutscher- und Europameister

Bergsteigen mit Anlauf! – Zermatt-Marathon, 7. Juli 2018

Dass der Zermatt-Marathon nichts für Weichspüler sein würde, wusste ich ja bereits vorher. Schließlich ist er mit seinen 1929 Höhenmetern verteilt auf die Marathon-Distanz einer DER Bergmarathons schlechthin. Dass er allerdings so hart würde, hätte ich in meinen schlimmsten (Alpen-)Träumen nicht gedacht! Schließlich hatte ich 2014 schon die kleine Scheidegg am Ende des Jungfrau-Marathons erreicht. Doch das hier war härter und sollte alles in den Schatten stellen, was ich jemals erlaufen habe.

Da ich als Flachländer schon Schnappatmung bekomme, wenn ich unseren 40 m hohen Hausberg erklimme, habe ich mich einer erfahrenen Seilschaft aus der Schweiz angeschlossen: der immer gutgelaunten Gabriela, der unglaublich fitten Doris, Lukas alias „der schnelle Jimmy“ (wie Gabriela sagt) und dem nie aufgebenden Stephan. Leider fehlte mit dem anderen Stefan DAS Bindeglied unserer Seilschaft, sodass niemand von uns wusste, ob wir trotzdem bestehen würden.

Dass der Wettergott ein Faible für Triathleten hat, konnte ich bisher schon häufiger feststellen. Dass er aber auch den masochistisch veranlagten Bergmarathonis nicht abgeneigt ist, wusste ich bislang nicht. Jedenfalls waren die heftigen Regenfälle der letzten Tage bereits am Vortag des Marathons Geschichte, sodass beim Abholen der Startunterlagen im Startort St. Niklaus (1120 m ü.M.) Vorfreude aufkam. Denn obwohl heute aufgrund der Wolken nur zu erahnen ist, wie hoch die Berge hier sind, ist für den Rennsamstag gutes Wetter vorhergesagt. Als am Abend dann unsere Seilschaft zusammenkommt, schreiten wir zum Carboloading auf der Pasta-Party und tauschen wertvolle Informationen aus, die für den Gipfelsturm entscheidend sein würden wie Nahrungsaufnahme vor und während des Rennens, Gewicht, Schuhgröße, Schrittlänge . . . 😉 Mit einem wohligen Gefühl geht’s ins Bett.

Nach einer kurzen aber guten Nacht sind wir bereit. Das Leuchten in den Augen ist allen anzusehen. Auch wenn der Ausgang ungewiss und die Herausforderung groß ist, sind wir zuversichtlich. Zunächst kann ein jeder aber nochmal in sich gehen, weil wir erst mit dem Zug von Zermatt zum Startort nach St. Niklaus fahren müssen und somit noch ein wenig Zeit zum Meditieren haben. In mich zu gehen, fällt mir dabei nicht schwer, weil ich sowieso kein Wort von dem verstehe, was die beiden Schweizerinnen neben uns besprechen. Das Wetter ist wirklich perfekt, jetzt um kurz

nach acht schon 15 Grad. Nur noch schnell zur Toilette und dann . . . denkste! Drei Männer stehen vor mir in der Schlange. Während der Counter der Frauenschlange um drei abgenommen hat, stehe ich immer noch. „Was macht der Typ da bloß?“ Nach geschlagenen 10 Minuten (!) gebe ich auf und suche mir eine neue Schlange – basta. Und die anderen unserer Truppe? Gabriela und Doris sind gut drauf wie immer. Stephan ist die Ruhe selbst. Und der schnelle Jimmy beeindruckt mich mit seinen Barefoot-Tretern auf den Spuren von Zola Budd! Doch jetzt wird es langsam ernst. Die „Speakerin“ (wie das hier heißt) ruft dazu auf, sich in die Startboxen zu begeben. Hier trennen sich nun die Wege unserer Seilschaft, die hoffentlich am Ende des Tages wieder zusammenführen.

Ich mache mich also auf, um meine blaue Startgruppe zu suchen, die um 8:38 Uhr, also acht Minuten nach der Elite starten soll. Ich sehe rote Schilder (Ultramarathon), grüne Schilder (Staffel) und gelbe Schilder (Elite). „Gelb? Ups, da bin ich schon zu weit. Hier wollte ich doch gar nicht hin.“ Aber hier ist so schön

viel Platz. Und die Leute sind so nett. Die lassen mich gar nicht mehr gehen. 😉 Und außerdem sind hier auch nicht alle gelb, sondern auch grün und blau. Und 3, 2, 1, los . . .

Die gute Nachricht ist: Die ersten 400 m sind flach. Das war’s! 😉 Dann geht es schon mächtig zur Sache. Am Ende der ersten Bergauf-Passage steht ein kleiner Trimmpfad, der nur hintereinander zu laufen ist. An die Geräte verschwende ich aber im Moment keinen Gedanken. Später werde ich erfahren, dass es nicht unbedingt ein Nachteil war, vorne zu starten. Hinten im Feld

wurde es an dieser Stelle bereits so eng, dass man gehen musste. Dann geht es weiter, mal kurz bergab, dann wieder länger bergauf, mal auf asphaltierten Straßen, mal auf engen Trampelpfaden. Ich versuche, meinen, nein, überhaupt EINEN Rhythmus zu finden. Und wichtiger eigentlich noch: eine Gruppe zu finden. Denn, alleine laufen ist doof! Bergauf sind einige schneller, schlängeln sich auf den engen Pfaden an mir vorbei. (Diese beiden Typen nerven!) Auf ebener Strecke mache ich Plätze gut. „So wird das nichts mit einer Gruppe.“ Nach etwa fünf Kilometern bemerke ich ein gleichmäßiges Atmen neben mir. Es ist Stéphane, ein Franzose. Wir stellen uns kurz vor, tauschen Nettigkeiten aus und beschließen, den Rest gemeinsam anzugehen.

Nach etwas mehr als 500 Höhenmetern – beim Berglauf zählt man scheinbar nicht die gelaufenen Kilometer, sondern die zurückgelegten Höhenmeter – ist Zermatt (1616 m ü.M.) erreicht. Das ist allerdings auch gerade die Halbmarathonmarke, wie der Zufall es will. Stéphane hat sich bereits (nach hinten) verabschiedet. Er sei müde waren seine letzten Worte. Hier in Zermatt ist ordentlich Stimmung, richtig Gänsehautatmosphäre. Und unser Supporter-Team ist auch schon da. Wo wir auch aufkreuzen, Ihr seid schon da! Ihr seid spitze! Der Tag

scheint für sie fast anstrengender zu sein als für uns – bis jetzt! Denn nach einer kleinen Schleife durch Zermatt geht es aber so richtig zur Sache. Bisher liege ich auf einem unglaublichen 11. Platz in meiner Altersklasse – und das bei all den eidgenössischen Bergziegen!

Ab Kilometer 24 geht es auf fast 8 km bis zur Sunegga (2280 m ü.M.) fast 1600 Höhenmeter bergauf, keine Chance zu verschnaufen. Das Laufen wird schwer. Mein Kilometerschnitt sinkt auf 7 – 8 min. Dennoch mache ich Platz um Platz gut. Und plötzlich kommt mir der Typ vom Anfang

„entgegen“. „Hasta la vista, Baybe!“ 😉 Bei Kilometer 30 fange ich an zu rechnen: „Also, wenn ich es schaffe, jetzt einen 7ner Schnitt zu laufen, könnte ich . . .“ Ich kann nicht mehr rechnen. Muss am Sauerstoffmangel liegen. Ist es auch auf den Sauerstoffmangel und einer daraus resultierenden Halluzination zurückzuführen, dass sich das Laufen plötzlich leichter anfühlt? Nein. Es wird tatsächlich flacher.

„Oh wie schön!“ Doch zu früh gefreut! Nach Kilometer 33 geht es tatsächlich zum Teil deutlich bergab. Nicht nur mit mir, sondern auch mit der Topographie. Und das ist deutlich anstrengender, denn auch das Geläuf wechselt zwischen Schotter, Wiese, Trampelpfad, Felsbrocken und Baumwurzeln. Wachsamkeit ist gefragt, die in dieser Höhenluft nach drei Stunden Sport in etwa so ausgeprägt ist, wie ein günstiges Stück Kuchen in der Schweiz! Ich hätte mich doch vorher mal mit dem Streckenverlauf vertraut machen sollen oder wenigstens auf Stephan hören können, der mir kurz vor dem Start noch anbot, mir etwas über die Schlüsselstellen zu erzählen. In meiner Ignoranz – oder ist es Arroganz – hatte ich darauf verzichtet.

Endlich ist bei Kilometer 39 mit der Riffelalp (2222 m ü.M.) ein Hochplateau erreicht. „Jetzt ist es ja nicht mehr weit“, geht mir durch den Kopf. Und plötzlich kann ich auch wieder rechnen: „3:30 h und noch drei Kilometer. Wow, das schaffe ich ja locker unter vier Stunden“, denke ich und blicke nach vorne. Doch was sehe ich: Berg! Nichts als Berg!

„Ah, da oben fährt die Zahnradbahn her. Das ist ja ganz schön steil! Wahnsinn, was die für eine Steigung überwindet. Gut, dass wir da nicht entlanglaufen

müssen!“ Doch! „Das kann unmöglich deren Ernst sein!“ Ist es aber. Aber wir müssen ja nicht laufen. Oder anders ausgedrückt: Hier läuft keiner mehr! „Man ist das steil! Nun haben wir also einen Wandertag.“ Plötzlich brauche ich 10 min für den Kilometer. Ich lasse das Rechnen lieber und konzentriere mich jetzt nur noch auf das Ankommen. Denn mittlerweile suchen meine Muskulatur und mein Hirn vergeblich jedes einzelne Sauerstoffmolekül. Aber das scheinen die Läufer vor mir bereits weggeatmet zu

haben. „ICH KANN NICHT MEHR!“ Dann tut sich ein letzter Anstieg zu einem Hochplateau auf: der Riffelberg auf 2585 m ü.M. Ich sehe auch Anke dort stehen. „Endlich im Ziel!“ Doch Anke beraubt mich jäh jeglicher Illusion: „Du musst noch ne Runde.“ Wenn es sich doch nur um eine „Runde“ handeln würde. Stattdessen dachten sich die Organisatoren wohl: „Wie bekommt man auf dem letzten Kilometer noch möglichst viele Höhenmeter zusammen.“ Also: nochmal einen Berg hoch. Ich kann nicht mehr, muss wieder gehen. Seltsamerweise überholt mich niemand. Ich blicke mich um. Den anderen scheint es nicht besser zu gehen. „Kann man sich hier nirgendwo hinsetzen? Komm, reiß Dich zusammen. Nur noch diesen Anstieg hoch.“ Und endlich, ich sehe das Ziel. Zu schwach, um die Arme hochzureißen, trabe ich durch das Ziel. „Ich habe fertig! Flasche leer“, um einen großen Fußballtrainer zu zitieren.

Aus dem „Off“ nehme ich eine Ansage wahr: „ . . . dritter Platz in seiner Altersklasse.“ Das kann doch unmöglich stimmen. Tut es aber! Wahnsinn! Dazu noch ein 25ster Gesamtrang und zweitbester Deutscher. Was für ein Tag! Ach ja, die Zeit: 4:05 h.

Jetzt warten wir gespannt auf die anderen. Den schnellen Jimmy verpassen wir allerdings, weil ich noch im Sauerstoffzelt meine Defizite ausgleichen musste. Er ist so schnell und schafft es locker unter fünf Stunden. Mit seiner Zeit von 4:55 h wird er Elfter in seiner Altersklasse – und schnellster (quasi) Barfußlä

ufer! Außerdem scheint der Berg keine Herausforderung für ihn. Er ist so locker und frisch wie am Start. Ich vermute, es wird nicht sein letzter Berglauf gewesen sein. Dann kommt die fitte Doris, die als Sechste Ihrer Altersklasse nur um 10 min am Käse vorbeiläuft (für Insider). Wahnsinn! Kurz dahinter bezwingt auch Stephan diesen Berg und bleibt eben

falls unter der Sechs-Stunden-Marke. Gabriela, die ein absolut konstantes Rennen gelaufen ist, kommt (wie immer) gut gelaunt ins Ziel.

Somit haben wir etwas zu feiern. Wir haben gemeinsam diesen Berg bezwungen und damit sicherlich einen der härtesten Bergmarathons geschafft. Heftig war’s – aber schön! Oder gerade deshalb? Wie dem auch sei, es hat verdammi viel Spaß gemacht und ich glaube, als Team hätten wir mit Sicherheit den Gut-Drauf-Sein-Preis erhalten, was auf jeden Fall unsere Supporter miteinschließt. Leute, ohne Euch hätten wir das nicht geschafft – danke!

Ergebnisse: https://services.datasport.com/2018/lauf/zermattmarathon/